Wenn Zukunftsorte
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Bänkle-Hock in Hinterstoder: Sitzenbleiben ist erwünscht

August 2014, Marlis Stubenvoll

"Hier spielt die Musi!" Im Garten des Bürgermeisters surrt der Mähroboter zwischen zwei Ziersträuchern hindurch. Mit ausladenden Handbewegungen und Hartwurst mit Brot auf dem Jausenbrett fängt Helmut Wallner seine "Stoderer" direkt von der Ortsstraße ab, die neben dem alten Haus verläuft, und platziert sie auf einer seiner zwei Hausbänke. "Ich wollte ja eigentlich gerade heimfahren...", sagt sein erstes Opfer und lehnt zum zweiten Mal ein Stamperl Schnaps ab. Wallner nimmt das Wort Gastfreundschaft ernst, sehr ernst. Schließlich hängt unter den Rosen auf der geweißten Hauswand auch ein Schild mit der Aufschrift "Bänkle-Hock".

Die ungewöhnliche Idee hat es ganz aus dem Westen des Landes in das oberösterreichische Bergdorf Hinterstoder geschafft. Herbert Fink aus Nüziders in Vorarlberg entwickelte gemeinsam mit den „Werkstätten der Utopie“ vor einem Jahr die Idee, die straßenseitigen Hausbänke wieder mit Leben zu füllen und damit einen kommunikativen Kontrast zu den Sofas vor den Fernsehgeräten zu setzen. Zum Projekt gibt es professionelle Materialien und ein eigens designetes Logo, die Nachahmung der Idee ist erwünscht. Für das Dorffest der persönlichen Art braucht es nur Hausbänke, Gastgeber, eine Grundausstattung von einem Krug Wasser und gutes Wetter.

Hinterstoder erfüllt heute alle Voraussetzungen. Elf Gastgeber sind auf einer Karte mit Namen, Profession und Ort verzeichnet, eine Humanenergetikerin, ein Landesfischereimeister und der örtliche Tourismusrat öffnen allesamt ihre Bänke und einer sogar sein Boot. "Manche haben uns die Pläne am Gemeindeamt aus der Hand gerissen, andere haben sich über den Vorarlberger Namen gewundert", sagt Julia Körber, die gemeinsam mit Sabrina Plursch für die Bürgerinitiative "hinterstoder upgrade" auf der Hausbank sitzt.

Die drei Bänke vor der Glasfront des örtlichen Alpinmuseums sind voll, später schafft man eine vierte heran. Das obligatorische Wasser wurde hier zu Weißwein oder zu einem Hybrid, dem Spritzer. An einem Ende der Bank wird über das Vor und Wider der Lederhose diskutiert, am anderen erklärt die Amtsleiterin Plursch dem Schulgründer Stefan Leitner-Sidl die verzwickte Immobiliensituation im Ort. Dann schwenkt das Gespräch um. "Du kommst nächste Woche auch zum Landinger Sommer! Die zweite Juliwoche kannst du dir gleich freihalten", bestimmt Julia Körber, als sie erfährt, dass ihr Banknachbar als Käse-Sommelier auch Verkostungen abhält.

Der Landinger Sommer findet nun zum dritten Mal in Hinterstoder statt und fällt nicht zufällig mit dem Bänkle-Hock zusammen. Hier kommen einmal jährlich Landaffine aus den Sparten Architektur, Raumplanung, Journalismus, Bildung und Umwelt zusammen, um zwischen gemeinsamen Grillen und Wandern ihre Ideen zu teilen. Und beim Bänkle-Hock soll dieses Jahr auch endlich der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern gelingen.

Wie eine Schulklasse nach einem anstrengenden Wandertag lehnen drei Experten und eine Expertin für die Stadtplanung der Zukunft an einem dicken Baum am Kirchenvorplatz. Über der Hinweistafel der hundertjährigen Kaiser-Linde steht auf einem angeklebten Zettel mit schwarzem Marker und in Blockbuchstaben geschrieben: "Smart Cities". Ein paar Wanderer haben sich bereits danach erkundigt und die Vier angehört. "Sie haben am Ende gesagt, sie verstehen immer noch nicht ganz, was eine Smart City ist", sagt Michael Paula und die Gruppe lacht, denn sie selbst haben gestern den ganzen Tag damit verbracht, den weiten Begriff auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Auf einer weiteren Bank treffen zwei Landinger auf eine Einheimische. Eva Geyer lässt sich über Hinterstoder vorschwärmen und diskutiert über den gestrigen Architekturfilm, in dem ihr Heimatort eine der Hauptrollen besetzte. Der Stammgast Klaus Herzmann musste bereits weiter, weil er den Bürgermeister noch fragen wollte, "was er mit dem Skigebiet machen möchte, wenn es in zwanzig Jahren keinen Schnee mehr gibt".

Es ist kurz nach sechs Uhr und die offizielle Zeit des Bänkle-Hock ist eigentlich vorüber. Beim Bürgermeister herrscht mittlerweile Höchstbetrieb. Das Summen der Gespräche übertönt längst den Rasenmäher. Die Rattenfängertaktik von Helmu Wallner ist aufgegangen. Um die zwanzig Leute halten in ihren Händen das Stamperl Schnaps, das sich der Gastgeber nur schwer abschlagen lässt, ein Bier oder ein Glas vom Michael Walchhofers "Weltmeisterwein", wie sich das für einen Ski-Weltcuport gehört. Die Familie des Hauses sitzt gemeinsam mit dem Tourismusdirektor, einer Kulturvermittlerin und einem Partizipationsexperten um den Tisch.

Der Musikschuldirektor Peter Häusler kommt vorbei und packt plötzlich sein Knopfakkordeon aus, um eine Polka nach der anderen zum Besten zu geben. Dann serviert der Wirt von Gegenüber höchstpersönlich mehrere Seiterl Bier, weitere Bestellungen werden aufgenommen. Das Bänkle-Hock entwickelt sich zu einer veritablen Konkurrenzveranstaltung zum Maibaum-Umschneiden, das bald beginnt. Als Herr Häusler nach einer bereits unklaren Zahl an Zugaben endlich das Akkordeon wieder einpacken darf, übernimmt Journalist und Musiker Neundlinger mit seiner Klarinette.

Die Sonne verschwindet hinter den Bergen. Wirklich weitergehen will man nicht. Dann leitet Bürgermeister Wallner schließlich die fröhliche Zufallsgesellschaft des Bänkle-Hock ein paar Häuser weiter, wo bald der Maibaum zu den Klängen der Blechbläser des Ortes fällt: "Dort spielt die Musi!"



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Grafische Gestaltung: Clemens Theobert Schedler, Büro für konkrete Gestaltung, www.designaustria.at

 

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