Wenn Zukunftsorte
erzählen…

Raiding: Ein Storchenhaus gegen Langeweile
Januar 2015, Marlis Stubenvoll
Ein Storchenpaar und ein Liebespaar finden Platz im Storchenhaus des japanischen Stararchitekten Terunobu Fujimori. Auf fünf mal fünf Metern trifft in Raiding im Mittelburgenland zurückhaltende japanische Architektur auf heimische Materialien. Ein 13 Meter hoher Eichenstamm entwächst organisch dem Schilfdach und trägt das halbjährlich bewohnte Storchennest. Die angekohlte Eichenfassade ist ein Exponent alter japanischer Baukunst, genauso wie der kleine Seiteneingang, der schon beim Eintreten zur Verbeugung vor dem Gastgeber zwingt. Neun weitere Größen der japanischen Baukultur errichten hier für Journalist und Künstler Roland Hagenberg ihre bewohnbaren Kunstwerke. Schuhe müssen draußen bleiben.
Berlin, New York, Tokio, Raiding
Bevor Roland Hagenberg in das verschlafene Raiding kam, bewegte sich der vielseitige Künstler und Journalist in den Kunstszenen der Megacities. Berlin und New York bildeten lange Zeit die Lebens- und Schaffensmittelpunkte des gebürtigen Wieners. Seit 1994 lebt Hagenberg in Tokio. Seine journalistische Arbeit machte ihn mit den Stararchitekten Japans bekannt, die in ihrem Land wie Popstars verehrt werden und deren Portraits die Titelseiten großer Hochglanzmagazine schmücken. Ihre Arbeit in Raiding ist nicht nur ein Freundschaftsdienst an Hagenberg. Wie manche Hollywood-Schauspieler, die nach großen Blockbustern auf die Theaterbühnen zurückkehren, suchen auch sie nach Jahren der Großbauten die kleine Form und das Experiment.
Das Mittelburgenland bildet nun für ein paar Monate im Jahr den Gegenpol zum pulsierenden Leben der Großstadt. Als Hagenberg 2009 nach einem richtigen Objekt zum Wohnen und Arbeiten suchte, landete er per Zufall in der 830-Seelen-Gemeinde Raiding, der Geburtsstätte des Kosmopoliten Franz Liszt. "Nach einem Jahr wusste ich nicht, wie ich es hier aushalten soll", erzählt Hagenberg. "Ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder alles abzublasen, oder ein Projekt zu starten." Das war die Geburtsstunde der Raiding Foundation, die sich dem kulturellen und künstlerischen Austausch zwischen Japan und Österreich verschrieben hat.
Zehn Architekten, drei Zufälle
Drei Zufälle veranlassten Hagenberg, an seinem Vorhaben festzuhalten. Am Anfang stand die Nachricht, dass es sich bei Raiding um den Geburtsort des Komponisten Franz Liszt handelt. Der Name Liszt, schlug auch Wellen bei den japanischen Architekten, die mit der Musik des ersten Konzertreisenden vertraut sind.
Mit den Brüdern Kutrowatz tat sich eine zweite Verbindung nach Japan auf. Das Pianistenduo übernimmt nicht nur die Intendanz des Liszt-Festivals in Raiding, sondern veranstaltet auch in Japan ein Festival für klassische Musik. Und Nummer drei: Auf dem Rohbau des Storchenhauses landete ein Storchenpaar, das sich im folgenden Sommer auf dem ihm angestammten Platz einnistete.
Wenn Hagenberg heute durch Raiding fährt, erkennt er an allen Ecken und Enden das Potential zum Architektur- und Kunstort. Er möchte die Ästhetik behutsam einfließen lassen - in alten, rohen Stadeln sieht er künftige Galerien, im Eichenwald schon einen Baumwipfelweg entstehen. "Was roh ist, ist formbar", meint er. Von dem geplanten Rastplatz, an dem bald Hiroshi Haras skulpturaler Unterstand "Drei Reisende" stehen soll, blickt man direkt auf ein braches, wildes Stück Landschaft am Rande des Orts.
Hier entsteht in Kürze das Hara House, das zweite von den zehn Gästehäusern. Auf fünf mal fünf Metern verwirklicht der Architekt des Bahnhofs in Kyoto und des Sapporo Dome seine Vision eines kleinen Konzertsaals mit Übernachtungsmöglichkeit. Die Bürger_innen beteiligen sich tatkräftig und sind offen für Ideen. Veranstaltungen beziehen die Menschen mit ein, genauso wie die täglichen Gespräche, die unweigerlich bei jedem Schritt vor die Haustüre stattfinden.
Handgefertigt und hergeschenkt
Förderungen vom Staat gibt es keine, das Storchenhaus wurde hauptsächlich mit Sachspenden finanziert. Die drei Eichen für die gesamte Inneneinrichtung und die Fassade stammen aus dem nahen Wald. Fujimori entwarf gemeinsam mit Dominik Petz und der Tischlerei Ecker die schlichten Eichenmöbel. Designerin Angelika Streudel vom japanisch-französischem Modelabel Comme des Garçons steuert das Textildesign bei. Jedes noch so kleine Detail trägt die Handschrift höchster Handwerkskunst. Die Gemeinde beteiligte sich mit den nötigen Anschlüssen und mit ihren Kontakten zu heimischen Handwerkern. Das private Sponsoring ist auch ein Vorteil, sagt Bürgermeister Markus Landauer: "Dadurch ist das Projekt freier und weniger bürokratisch."
Die Gästehäuser in Raiding haben das Potential, Raiding gemeinsam mit dem Duo Wein und Klassik zu neuer Identität zu verhelfen. Die bewohnbaren Kunstwerke stehen nicht allein für sich, sondern sind auch sozial und funktional in den Ort eingebettet. Schon jetzt verzeichnen Besucher aus aller Welt ihre Glückwünsche ins Gästebuch des Storchenhauses und warten gespannt auf kommende Projekte.
Experten Links
Raiding Foundation, raidingfoundation.org
Journalist und Künstler: Roland Hagenberg, hagenberg.com