Wenn Zukunftsorte
erzählen…

September 2013, Marlis Stubenvoll

"Wir waren zu feig, um in die Welt zu gehen, also haben wir die Welt zu uns geholt." Der Architekt Klaus Hagenauer tauschte New York gegen seine Heimatgemeinde Ottensheim. Trotzdem sind ihm das pulsierende Lebensgefühl der Stadt und die Moderne des Jazz nicht fremd geblieben. Mit dem 1983 gegründeten Verein ARGE Granit holte sich seine Generation Künstler wie Cool-Jazz-Legende Lee Konitz und den Wiener Poeten H.C. Artmann ins Dorf. Und riskierte mit einem Nacktauftritt von Hermes Phettberg auch schon einmal eine Klage.

Die Marktgemeinde an der Donau beweist Mut zur Kunst, Kreativwirtschaft und Architektur, die anderswo auf Widerstand stoßen würden. Freie Kulturarbeit reicht in Ottensheim bis an den Anfang der Achtziger zurück, als eine Splittergruppe der jungen ÖVP den Jazz in ihren Treffpunkt "Höhle" brachten. Nach zögerlichen Annäherungen an die moderne Architektur in den 70er-Jahren entstand in Ottensheim das erste Mitbestimmungsprojekt Oberösterreichs.

"Das hat natürlich nicht irgendwelche Leute angezogen", sagen sowohl Hagenauer als auch Gertrude Walchshofer. Die besonderen Immobilien brachten eine Gruppe junger Kreativer nach Ottensheim, die in Walchshofers früherem Gasthaus "Der Grüne Baum" ihre Vorstellungen vom gemeinschaftlichen Wohnen verhandelten. Immer noch kommen junge Familien nach Ottensheim, Studenten kehren aus den Städten in ihre Heimatgemeinde zurück.

"Nicht lauter Verrückte"

"Unsere Marktstandler haben nirgends ein Publikum wie hier", erzählt Walchshofer, die nun nicht mehr im Gasthaus, sondern jeden Freitag am Wochenmarkt einen Treffpunkt für die alternative Szene schafft. Den beliebten Lebensmittelmarkt organisieren sie ehrenamtlich. "Ich will, dass der Ort lebt, dass wir uns hier gut fühlen". Beim jährlichen FrauenKunstHandwerksmarkt steht nicht der Verkauf im Vordergrund, sondern der Austausch zwischen der Bevölkerung und den Kreativen. Walchshofer möchte, das durch Workshops Wissen der Künstlerinnen im Ort bleibt und die Hiesigen sehen, dass "das nicht lauter Verrückte sind".

Ottensheim profitiert in vielerlei Hinsicht vom kreativen Potential seiner Einwohner. Mithilfe von Streuobstwiesenschokolade  sensibilisiert die Gemeinde auf ungewöhnliche Art für diesen seltenen Kultur- und Naturraum. "Menschen treffen sich, haben Ideen, und setzen sie um. Weil der Ort nicht zu groß ist, kann man mit Nachdruck alles erreichen", sagt Hagenauer, der die Verpackung ansprechend designte.Ein neues Klavier für die Musikschule wird durch den Verkauf  "beflügelter" Bilder finanziert, die Josef Baier aus den Tasten des alten, maroden Flügels gestaltete. Lösungen sind in Ottensheim nicht einfach, sondern originell.

Die Höhle, die ARGE Granit, das Jugendzentrum JO, das Offene Technologielabor - jede Generation hatte ihren Freiraum und ist langsam in eine Kultur der Selbstorganisation hineingewachsen. "Wir mussten immer selbst den Kopf hinhalten. Wenn die Polizei bei einer Veranstaltung gekommen ist, weil es zu laut war, mussten wir die Verantwortung übernehmen. So haben wir dazugelernt", erzählt Anna Luger-Stoica, die heute mit einem kleinen Fairtrade-Modegeschäft einen früheren Leerstand belebt. Ein großes Maß an Eigenständigkeit und Mut hat auch ihr Cousin Wolfgang "Wodo" Gratt bewiesen.

Pappe gegen Ikea

Der Künstler und Musiker gründete das Ottensheim Openair, das nun schon seit 20 Jahren besteht. Sowohl die HTL als auch das Kunststudium brach er zugunsten seiner zahlreichen Projekte ab. "Vor dem Studium ist nach dem Studium. Wenn man wirklich etwas Eigenes schafft und lange genug daran arbeitet, dann geht es irgendwann von selbst", ist Gratt überzeugt. Mit einem losen Konglomerat aus Künstlern und Technikern produziert er als "papplab" in Ottensheim Möbel aus Pappe. "Ikea produziert Sondermüll, wir produzieren Altpapier", so die Kampfansage. Papplab kreierte schon für das Ars Electronica oder die Kinderbiennale in Venedig ökologische, günstige Ausstellungsausstattungen. Für Gratt war immer klar, dass er in Ottensheim bleibt. Nicht die Welt erkunden, sondern die Welt zu sich einladen, ist seine Devise.

"Wir sind hier nah am städtischen Denken. Die Leute wissen, dass ein Einfamilienhaus mit Pool nicht die einzige Wahrheit ist", sagt Architekt Hagenauer. Diese Offenheit, der Mut zu Neuem und die nötige Freiheit, um auch einmal Fehler zu begehen sorgen seit drei Jahrzehnten für florierende Kreativwirtschaft und ein Klima, in dem sich verschiedenste Menschen wohl fühlen.

Weitere Geschichten im Buch: 16 Zwanzixtl + 1

Weitere Projekte aus der Kreativwirtschaft: Interview mit Kopfarbeit, dasparkhotel

 

Experten-Links:

ARGE Granit Ottensheim, www.granit.ottensheim.at
Architekt Klaus Hagenauer, www.autarc.net
Offenes Technologielabor Ottensheim, www.otelo.or.at
Papplab, www.papplab.at
Kopfarbeit, www.kopfarbeit-beanies.at

 

 

 

 

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